Kurz und knapp – darum geht’s

Ein brutaler Serienvergewaltiger versetzt Ludwigshafen in Angst und Schrecken – maskiert und ohne erkennbare Spuren schlägt er immer wieder zu. Die junge Kommissarin Lena Odenthal vom Sittendezernat steht vor ihrem ersten großen Fall und konzentriert ihre Ermittlungen auf drei einschlägig vorbestrafte Männer. Als einer der Übergriffe tödlich endet und Lena überraschend die Leitung der Mordkommission übernimmt, beschließt sie, dem Täter eine Falle zu stellen – ohne zu ahnen, dass sie dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt …

Inhalt der Tatort-Folge „Die Neue“

Unruhig blättert Kommissarin Lena Odenthal durch die dünne Akte auf ihrem Schreibtisch, während die Geräusche der Polizeiwache um sie herum verblassen. Als Neue im Sittendezernat von Ludwigshafen hat sie nicht nur mit dem Misstrauen ihrer Kollegen zu kämpfen, sondern auch mit einem Fall, der die ganze Stadt in Atem hält. Ein Serienvergewaltiger, stets maskiert, hinterlässt traumatisierte Frauen – aber kaum verwertbare Spuren.

Die junge Ermittlerin spürt die Last der Verantwortung auf ihren Schultern. Anders als die erfahreneren Kollegen, die in der routinierten Polizeiarbeit manchmal den Blick für die Opfer verlieren, kann sich Lena in die Angst der betroffenen Frauen hineinversetzen. Ihre Empathie ist gleichzeitig Stärke und Achillesferse – denn die emotionale Nähe zum Fall droht, ihre objektive Urteilsfähigkeit zu trüben.

„Glauben Sie, ich erkenne ihn wieder?“, fragt Carmen Posniak, das jüngste Opfer, mit unsicherer Stimme. Obwohl sie den Täter nicht sehen konnte, ist die junge Frau Odenthals wichtigste Zeugin und einzige Hoffnung. In einem gewagten Ermittlungsansatz bringt Lena sie nacheinander mit den drei Hauptverdächtigen zusammen: Koslowski, Geißler und Appold – alle vorbestraft, alle mit passender Blutgruppe A. Die Konfrontationen gleichen einem Tanz auf rohen Eiern, bei dem jede falsche Bewegung den Täter warnen könnte.

Die Fahndung nach dem Vergewaltiger wird zum Wettlauf gegen die Zeit, als ein weiterer Überfall die Situation dramatisch verändert: Dieses Mal endet die Tat tödlich. Unter dem bleiernen Himmel Ludwigshafens steht Lena am Tatort – nun nicht mehr nur als Kommissarin des Sittendezernats, sondern überraschend befördert zur kommissarischen Leiterin der Mordkommission. Das grelle Blaulicht der Einsatzfahrzeuge wirft flackernde Schatten auf ihr Gesicht, während sie die Szene in sich aufnimmt.

In den verwinkelten Straßen der Industriestadt, wo der Rhein wie ein düsteres Band die Kulisse durchschneidet, intensiviert Odenthal ihre Nachforschungen. Die drei Verdächtigen werden zu Puzzleteilen eines psychologischen Profils, das sie Stück für Stück zusammensetzt. Koslowski mit seiner aggressiven Art, Geißler, der ein scheinbar stabiles Leben führt, und Appold, der sich in Therapie befindet – jeder von ihnen könnte der Täter sein. Wie ein Archäologe gräbt sich Lena durch die Schichten ihrer Persönlichkeiten, während die Indizien zunehmend in eine Richtung weisen.

Doch Indizien allein reichen nicht für eine Verhaftung. „Wir brauchen Beweise, keine Vermutungen“, mahnt ihr Kollege Seidel. In der kühlen Luft des Polizeipräsidiums, wo der Kaffee bitter schmeckt und die Neonröhren surrend ein fahles Licht verbreiten, fasst Lena einen riskanten Entschluss: Sie wird dem Täter eine Falle stellen – und sich selbst als Köder anbieten.

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Die Neue“ markiert einen historischen Moment in der Geschichte der ARD-Krimireihe: Am 29. Oktober 1989 – nur wenige Tage vor dem Fall der Berliner Mauer – hatte nicht nur Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal ihren ersten Auftritt, sondern auch die Stadt Ludwigshafen feierte ihre Premiere als Tatort-Schauplatz. Gedreht wurde der vom Südwestfunk (SWF) produzierte 224. Tatort bereits im Frühjahr 1989 in Ludwigshafen und Umgebung.

In der Rolle der Carmen Posniak überzeugte die damals noch unbekannte Katharina Abt, die später selbst Kriminalkommissarin im ZDF-Krimi „Stubbe – Von Fall zu Fall“ wurde. Die Regie führte Peter Schulze-Rohr nach einem Drehbuch von Norbert Ehry und Harald Pätzold.

Was als einzelne Episode begann, entwickelte sich zu einer der langlebigsten Konstanten der Tatort-Reihe: Lena Odenthal etablierte sich als dienstälteste Kommissarin und steht inzwischen für über drei Jahrzehnte Fernsehgeschichte. Bemerkenswert ist, dass sie in ihren ersten Fällen noch allein ermittelte – ihren langjährigen Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe) bekam sie erst in ihrem zehnten Fall „Der kalte Tod“ (1996) an die Seite gestellt.

Die Ausstrahlung von „Die Neue“ erreichte eine beachtliche Einschaltquote von 12,58 Millionen Zuschauern, was einem Marktanteil von 38,8 Prozent entsprach. Kritiker lobten vor allem Folkerts‘ authentisches Spiel und die ungewöhnlich realistische Darstellung von Sexualverbrechen für die damalige Zeit.

Ein interessantes Detail am Rande: Der Ludwigshafener Tatort ist der einzige in der Geschichte der Reihe, der durchgängig mit Kommissarinnen besetzt war – von Marianne Buchmüller (Karin Anselm) über Hanne Wiegand (Karin Anselm in anderer Rolle) bis hin zu Lena Odenthal. Der Südwestrundfunk setzte damit konsequent auf weibliche Ermittlerinnen, lange bevor Gender-Diversität zum Thema in der Medienlandschaft wurde.

Musik

Small blue thing – Vega, Suzanne
Aber dich gibt’s nur einmal für mich – Nilson Brothers
Trio Sonaten Nr. 3 Sonata III-D-moll – Komponist: Bach, J.S.

Besetzung

Kommissarin Lena Odenthal – Ulrike Folkerts
Koslowski – Michael Mendl
Herr Geißler – Hans-Joachim Grubel
Frau Geißler – Erika Skrotzki
Carmen – Katharina Abt
Appold – Michael Roll
Lukas – Jürgen Holtz
Fichte – Margret Homeyer
Seidel – Michael Schreiner
Isabella – Katharina Müller-Elmau
u.a.

Stab

Drehbuch – Norbert Ehry
Regie – Peter Schulze-Rohr
Kamera – Charly Steinberger
Schnitt – Gudrun Weber

Bilder: SWR/Erika Hauri